Haftung und Aufsichtspflicht

(zuletzt geprüft am 07.02.2024)

1 Einleitung

Im Alltag mit Kindern kommt es leider immer wieder vor, dass sich Kinder wehtun und verletzen. Beim Erlernen neuer Fähigkeiten bleibt es zuweilen nicht aus, dass sich die Kinder irgendwo anstoßen oder bei einem Sturz aufschürfen. Bei derartigen Verletzungen oder durch Kinder verursachten Sachschäden ist der Aufsichtspflichtige nicht in jedem Fall zu einem Schadensersatz verpflichtet. Nur für Schäden, die auf Grund einer Pflichtverletzung der Aufsichtsperson beruhen, hat diese auch Schadensersatz zu leisten.

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2 Wer hat die Aufsichtspflicht?

Gem. § 1626 Abs. 1 BGB steht die elterliche Sorge den Eltern eines Kindes zu. Diese elterliche Sorge umfasst sowohl die Personensorge als auch die Vermögenssorge des Kindes.

In § 1631 BGB wird die Personensorge näher definiert. Sie umfasst insbesondere das Recht und die Pflicht, das Kind zu pflegen, zu erziehen und zu beaufsichtigen. Daraus lässt sich ableiten, dass grundsätzlich die Eltern die Aufsichtspflicht über ihre Kinder innehaben.

Eine Tagespflegeperson kann diese gesetzliche Aufsichtspflicht allerdings durch eine vertragliche Regelung von den Eltern übertragen bekommen. In diesem Fall spricht man dann von einer vertraglich übernommenen Aufsichtspflicht.

Der Vertrag zur Übernahme der Aufsichtspflicht unterliegt keinem Formerfordernis, d.h. er muss nicht schriftlich verfasst werden. Aus rechtlicher Sicht reicht auch eine mündliche oder eine konkludente - d.h. stillschweigende – Übernahme der Aufsichtspflicht.

Der Tagespflegeperson ist aber zu raten, mit den Eltern einen schriftlichen Vertrag abzuschließen. Ein schriftlicher Vertrag dient der besseren Dokumentation und im Zweifelsfall kann man mit dem schriftlichen Vertrag auch etwas beweisen.

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3 Was versteht man unter Aufsichtspflicht?

Eine eindeutige Definition der Aufsichtspflicht ist aus dem Gesetz nur schwer herauszulesen. Die Schwierigkeit liegt dabei darin, dass es im Rahmen der Betreuung von Kindern nicht lediglich darum geht, Kinder und Dritte vor einem Schaden zu bewahren, sondern auch darum, diese Kinder zu selbständigen und eigenverantwortlichen Menschen zu erziehen. Dieses Erziehungsziel ist an verschiedenen Stellen der einschlägigen Gesetze normiert.

§ 1 Abs. 1 SGB VIII hält fest, dass jeder junge Mensch ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit hat

§ 22 Abs. 2 SGB VIII normiert diesen Grundsatz noch einmal explizit für die Kindertagespflege.

Aus den bisherigen Ausführungen wird deutlich, dass die Aufsichtspflicht nicht losgelöst vom Erziehungsauftrag zu sehen ist.

Wenn man ein Kleinkind den ganzen Tag an der Hand führt, so kann sich das Kind im Normalfall zwar nicht oder weniger verletzen, es kann aber auch nur sehr eingeschränkt eigene Erfahrungen sammeln. Und doch gibt es Situationen, in denen es die korrekte Maßnahme zum Schutz des Kindes sein kann, es an der Hand zu nehmen.

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4 Umfang der Aufsichtspflicht

Kinder sind aufsichtsbedürftig, weil sie selber noch nicht in der Lage sind, alle Risiken und Gefahren für sich und andere abzuschätzen. Der BGH (Az.: VI ZR 117/92 Rn.8) hat am 19.01.1993 zur Aufsichtspflicht folgende Aussage getroffen:

„Der Umfang der gebotenen Aufsicht über Minderjährige bestimmt sich nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes, wobei sich die Grenze der erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen danach richtet, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen in der konkreten Situation tun müssen, um Schädigungen Dritter durch ihr Kind zu verhindern.“

Daraus ergeben sich zunächst fünf Kriterien, nach denen sich der Umfang der Aufsichtspflicht bemisst:

  1. Alter der Kinder
  2. Eigenschaften der einzelnen Kinder
  3. Art der Tätigkeit
  4. Räumliche und örtliche Umgebung
  5. Gruppengröße

Zudem spielt auch eine Rolle, was der Tagespflegeperson in konkreten Fall zugemutet werden kann.

Jedes dieser Kriterien ist von Bedeutung bei der Beurteilung ob die Tagespflegeperson ihrer Aufsichtspflicht gerecht wird.

In den folgenden Absätzen werden die Kriterien im Einzelnen erläutert:

4.1 Alter der Kinder

Der Großteil der Kinder in der Kindertagespflege ist zwischen ein und drei Jahren alt. An den Aufsichtspflichtigen für ein dreijähriges Kind sind dabei andere Anforderungen zu stellen als für ein einjähriges Kind. Allerdings ist beim Alter des Kindes nicht nur das tatsächliche Alter, sondern auch der Entwicklungsstand maßgeblich.

Daraus ergibt sich, dass die Frage der gebotenen Aufsicht immer einer Einzelfallentscheidung bedarf.

4.2 Eigenschaften der Kinder

Kinder sind eigenständige Individuen und haben deshalb ganz unterschiedliche charakterliche und körperliche Eigenschaften. Bei der Betrachtung, ob die Tagespflegeperson der Aufsichtspflicht Genüge getan hat, sind Eigenschaften wie Mut, Draufgängertum und Wut etc. in aller Regel von größerem Belang als eher zurückhaltende Charakterzüge wie Vorsichtigkeit und Schüchternheit. Mutige Kinder könnten ihre Fähigkeiten eher überschätzen und sich mehr zutrauen, als sie körperlich oder geistig in der Lage sind.

4.3 Art der Tätigkeit

Bei einem gemeinsamen Vorlesen im Kissenkreis ist die Gefahr, dass Kinder sich verletzen deutlich geringer, als z.B. bei einem gemeinsamen Ausflug in den Wald oder auf den Spielplatz.

4.4 Räumliche und örtliche Umgebung

Auch hier sind deutliche Unterschiede bezüglich dem Maß und der Art der Aufsichtspflicht zu sehen, je nach dem, in welcher Umgebung sich die Tagespflegeperson mit den ihr anvertrauten Kindern aufhält. So ist z.B. das Maß der gebotenen Aufsicht um einiges höher bei einem Ausflug zu einem Spielplatz, zu dem die Tagespflegeperson mit den Kindern über eine viel befahrene Straße gehen muss.

4.5 Gruppengröße

Nicht zuletzt spielt die Gruppengröße eine wesentliche Rolle bei der Bestimmung des Maßes und der Art der gebotenen Aufsicht.

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5 Wie führe ich Aufsicht?

Es ist jeweils situationsabhängig, wie sich die gebotene Aufsichtsführung im konkreten Einzelfall darstellt. Grundsätzlich sind folgende Handlungsweisen für die Aufsichtsführung maßgeblich:

  • Informieren, belehren oder ermahnen
  • Gebote und Verbote
  • Überwachen, kontrollieren
  • Eingreifen
  • Gefahrenquellen beseitigen
  • Schutzmaßnahmen treffen

Hierbei ist das Alter bzw. die Einsichtsfähigkeit des einzelnen Kindes entscheidend für die Wahl der Handlungsweise. Umso jünger die Kinder sind, desto eher sind sie zu überwachen bzw. zu kontrollieren. Bevor ein Kind zu Schaden kommt, muss tatsächlich eingegriffen werden.

Das Informieren und Belehren funktioniert erst bei größeren Kindern, die auch in der Lage sind zu verstehen, was von ihnen erwartet wird. Hierbei hat die Betreuungsperson sich zu vergewissern, dass die Kinder die Regeln und Verbote auch verstanden haben.

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6 Erläuterungen und Beispiele

6.1 Wann beginnt die Aufsichtspflicht der Tagespflegeperson?

Da die Aufsichtspflicht vertraglich übernommen wurde, beginnt und endet sie grundsätzlich zu den vertraglich vereinbarten Zeitpunkten. Die Aufsichtspflicht der Tagespflegeperson beginnt mit der Übernahme des Kindes durch die Tagespflegeperson und endet mit seiner Übergabe an die Eltern.

Sollten sich Eltern beim Bringen oder Abholen ihrer Kinder verspäten, so beginnt die Aufsichtsplicht in diesem konkreten Fall später bzw. sie endet dann auch später.

6.2 Wer hat die Aufsichtspflicht während der Bring- und Abholzeiten?

Um in diesem Punkt Klarheit zu haben, empfiehlt es sich, auf eine eindeutige Übergabe des Kindes zu achten. Während der Bring- und Abholzeit ist die Tagespflegeperson häufig durch die gleichzeitige Anwesenheit und Ansprache von Eltern und Kindern abgelenkt. Es ist daher zu überlegen, wie die Bring- und Abholzeiten zu gestalten sind, damit dennoch alle Kinder von der Tagespflegeperson hinreichend beaufsichtigt werden können.

Wichtiger Hinweis: Die bloße Anwesenheit eines Elternteils beendet die Aufsichtspflicht der Tagespflegeperson noch nicht.

6.3 Ausflüge und Aufsichtspflicht

Die Tagespflegeperson sollte zu Beginn der Aufnahme eines neuen Kindes den Eltern ihr Konzept erläutern. Dies ist u.a. auch für die Durchführung von Ausflügen von Bedeutung, damit nicht für jede „normale“ Aktivität eine Zustimmung der Eltern eingeholt werden muss. Dazu gehört z.B. der Besuch eines nahegelegenen Spielplatzes.

Bevor die Tagespflegeperson mit den Kindern nach draußen geht, sollte sie sich über das Ziel des Ausflugs, den Weg dorthin, die Gruppengröße, das Alter der Kinder etc. bereits ausreichend Gedanken gemacht haben.

So ist bei Ausflügen mit kleinen Kindern sicherzustellen, dass die Tagespflegeperson die gewählte Route kennt, um eventuelle Gefahrenquellen bereits im Vorfeld zu identifizieren. Dies kann sie unter Umständen durch ein vorheriges Ablaufen der Wegstrecke sicherstellen.

Auch der Zielort für einen Ausflug muss sorgfältig ausgesucht werden. So gibt es Spielplätze, die gerade für kleinere Kinder ungeeignet sind, da sie in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer vielbefahrenen Straße, einem Fluss oder ähnlichen potentiellen Gefahrenquellen liegen. Besser geeignet sind übersichtliche Spielplätze mit Spielgeräten für die entsprechende Altersstufe, die von der Umgebung durch einen Zaun o.ä. abgetrennt sind. Unter Umständen gibt es bei der jeweiligen Gemeinde eine Einschätzung, für welche Altersgruppe der Spielplatz geeignet ist. Dies wäre allerdings nur ein Anhaltspunkt für die Tagespflegeperson, die sich in jedem Fall einen eigenen Überblick über die Lage des Spielplatzes, die Geräte, die Übersichtlichkeit etc. verschaffen sollte.

Die Tagespflegeperson sollte sich auch darüber Gedanken machen, wie sie in einem Notfall, wenn sie z.B. durch die Betreuung eines verletzten Kindes zwangsläufig abgelenkt ist, dennoch eine ausreichende Aufsicht der anderen Kinder in ihrer Gruppe gewährleisten kann. Im Zweifel kann es geboten sein, per Handy Polizei, Krankenwagen oder Feuerwehr zu Hilfe zu holen. In kritischen Situationen empfiehlt es sich hier, nicht zu lange mit einem Notruf zu warten.

Ausflüge in ein Schwimmbad mit mehreren Kindern, die noch nicht schwimmen können, sind kritisch zu sehen. Für den Abwägungsprozess sind z.B. die Gruppengröße bzw. die Lage des Nichtschwimmerbeckens maßgeblich. In jedem Fall sollte die Tagespflegeperson vor einem Schwimmbadbesuch vorab die schriftliche Erlaubnis aller Eltern einholen und der zuständige Bademeister informiert werden.

Ausführliche Informationen zum Thema Baden und Schwimmen mit Tagespflegekindern finden sie unter: Baden und Schwimmen mit Tagespflegekindern

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